„Leuchten die Farben auch im Dunkeln?“, fragt das junge Mädchen die Künstlerin Sophia Melone. Eine berechtigte Frage, mit Blick auf das Graffiti-Wahlplakat in grellem pink, grün und rot. Es zeigt den Fernsehturm, Menschen, Hunde, Skateboards, das SPD-Logo und den Schriftzug “Ganz sicher kreativ”.
Auf dem Bürgersteig der Julie-Wolfthorn-Straße – zwischen Fahrradweg und Grünstreifen – haben sich mittlerweile die Bundestagskandidatin Annika Klose, die Landtagskandidatin Astrid Hollmann sowie Journalist:innen und weiteren Genoss:innen aus Berlin Mitte versammelt.
Die Aktion entstand durch eine Initiative von Tilmann Häußler in Abstimmung mit Jurij Paderin von der Graffiti Lobby Berlin. Die gemeinsamen kulturpolitischen Ziele: Mehr legale Flächen für Graffiti und Sprüher*innen in der Stadt Berlin sowie mehr Kinder- und Jugendprojekte zur Fassadengestaltung mit Street-Art-Künstler:innen. Im Speziellen geht es dabei auch um die Hinterlandmauer im Park am Nordbahnhof, die für alle, nicht nur für Einzelsprüher:innen, zugänglich gemacht werden soll.
Franziska Giffey eröffnet das Event als Ehrengast und weist auf die vielen jungen Menschen in der Stadt hin, die Graffiti als Kunst leidenschaftlich betreiben. „Wir wissen, wir haben kreatives Potenzial und wollen Orte, an denen so etwas möglich ist. Aber wir wollen auch eine saubere und ordentliche Stadt“. Genau darin besteht für die Spitzenkandidatin der Berliner SPD der Kompromiss.
In der anschließenden Diskussion lenkt Jurij den Fokus stärker auf mangelnde Freiräume. Derzeit gäbe es lediglich drei legale Flächen für die Sprüher*innen in Berlin. Der in der Sowjetunion geborene Künstler betont, dass „der Umgang mit Graffiti auch ein Gradmesser für die Freiheit einer Gesellschaft sei“.
Gestaltungsfreiheit hat auch die untereinander stark vernetzte Graffiti-Szene. Insofern darf das Kunstwerk von anderen Künstler*innen übersprüht und damit vervollständigt werden. Den Anfang macht Franziska Giffey mit dem Wort “kreativ”, das sie unter den Schriftzug “Ganz sicher“ sprüht. „Gar nicht so einfach“, stellt sie dabei fest, aber „zum Glück kann man bei Kunst nichts falsch machen“. Und genau darum geht es: die persönliche Sprüher*innen-Handschrift.
Ein Graffiti darf leben, aber es gibt auch Regeln. Einige Respekttage sollten vergehen, bevor die Graffiti-Szene die kreative Weitergestaltung übernimmt. Zwei Wahlplakat-Beauftragten war diese Vereinbarungen offenbar nicht bekannt, als sie die Fläche mit einem SPD-Wahlplakat von Olaf Scholz überklebten. Ist das Kunst, oder kann das weg? Ein Irrtum, der direkt rückgängig gemacht wurde. Diese Anekdote zeigt einmal mehr, dass Graffiti im Straßenraum mehr Bewusstsein, Sichtbarkeit und einen fortlaufenden Dialog mit den Künstler*innen braucht.
Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich das Graffiti durch weitere künstlerische Interpretationen nun verwandeln wird. Vielleicht leuchtet es bald auch nachts.